23. November 2008

Secret World Live

Der Film zur Tour zum Song - Secret World Live DVD

Secret World LiveIn Fortsetzung dieser lockeren Artikelreihe folgt nun eine ausführliche Besprechung über die Abfilmung von vermutlich dem Konzert-Ereignis in Sachen Peter Gabriel. Wie schon Marcel erwähnte, war diese Tour äußerst eindrucksvoll und hat bei vielen den Grundstein ihrer Begeisterung für Herrn G. aus B. gelegt. 2003 wurde der bis dato nur auf VHS-Cassette erschienene Mitschnitt endlich auf DVD veröffentlicht.

Die Secret World Live Tour von 1993 dürfte wohl das aufwändigste gewesen sein, was Peter Gabriel je an Bühnenprogramm auf die Beine gestellt hat. War die Tour zu SO noch relativ schlicht (und trotzdem zweifelsfrei eindrucksvoll) zog er diesmal, ausgestattet mit mehr Geld, alle Register, verpflichtete mit Robert Lepage vorab einen der renommiertesten Theater- und Performancekünstler für die Konzeption - und startete schließlich ein trickreiches, intelligentes und sinnliches Unternehmen, das weltweit für Aufsehen sorgte und Gabriels Nimbus als eine der multimedialen Kunst zugewandten Persönlichkeit fundamentierte. Eine Veröffentlichung auf Video war nur eine Frage der Zeit und fand 1994 endlich statt. Aufgenommen im letzten Tourdrittel in Modena, Italien dokumentiert dieser Konzertfilm ein eindrucksvolles Ereignis. Im Jahr 2003 fand dann die Wiederveröffentlichung auf DVD statt.

Das Äußere

Bei einem Re-release macht sich eine Plattenfirma in der Regel nicht die Mühe größeren Aufwands. So ist diese DVD dann auch lediglich in der üblichen Plastikbox erschienen. Design und Aufmachung orientieren sich an der 1994er VHS-Cassette und der zeitgleich erschienenen Doppel-CD. Im Inneren gibt es ein Booklet, das weitestgehend dem der CD entspricht. Neben Setlist und Credits enthält es viele Fotos aus der Show und aus dem Bereich hinter und unter der Bühne. Das wirkt in diesem, dem DVD-Booklet eigenem, größerem Format sogar besser als bei der CD.

Das Menü

MenüLegt man die DVD ein, erwarten einen die üblichen Warn-Hinweise und Logos. Dann befindet man sich in einem schlichten aber ausreichenden Hauptmenü, animiert mit Bildmaterial aus der San Jacinto Performance. Das gleiche gilt auch für die Untermenüs. Unterlegt sind sie alle mit unterschiedlichen Klängen aus PASSION und US.

Der Ton

Es liegen drei Standards vor: DTS, Dolby Digital 5.1 und Dolby Stereo 2.0. Mit der tontechnischen Bearbeitung der DVD hat man sich sehr viel Mühe gemacht. Im Zusammenhang mit der Erstellung einer 5.1 Spur hat Pete Walsh noch mal ganze Arbeit geleistet: Das Klangbild ist klarer geworden, viele Details sind deutlich hörbarer, auffälligerweise viele Reaktionen aus dem Publikum. Auch der Mix erfuhr eine Runderneuerung, man hat sich etwas von den allzu argen Bearbeitungen der Erstveröffentlichung entfernt und wieder einer Live-Atmosphäre zugewandt. So wird Peters Stimme gelegentlich mit neuen Echoeffekten unterlegt und die Drums bei Steam klingen beispielsweise auch nicht mehr gar so verändert. Außerdem wurden einige Gimmicks eingebaut wie etwa das Telefonfreizeichen im Intro von Come Talk To Me.

Das Bild

Über die Bildqualität der DVD im Vergleich zur VHS ist viel diskutiert worden. Tatsächlich lässt sie bedauerlicherweise um einiges zu Wünschen übrig. Zunächst einmal handelt es sich nicht, wie auf dem Cover angegeben, um ‘Widescreen’ sondern man muss ehrlicherweise sagen, dass nur das 4:3 Format der VHS Aufnahme auf Widescreen umgeschnitten wurde - sprich: es kamen schwarze Balken dazu (sofern man einen 4:3-Fernseher sein eigen nennt, stellt es sich zumindest so dar). Das ist durchaus kunstvoll geschehen, die Bildausschnitte sind sorgfältig gesetzt, es entstehen dadurch teilweise neue Eindrücke. Ob das Beschneiden vorhandenen Materials allerdings einer Aufwertung gleichkommt, bleibt fragwürdig.
Des Weiteren muss gesagt werden, dass die Qualität des eigentlichen Bildes auch nicht optimal ist. Es ist körnig, es rauscht, hat vielfach digitale Artefakte, Doppelkonturen - am PC wirkt sich das alles sogar fataler aus, als auf der Fernsehanlage. Offenbar war die Quelle der Aufnahme nicht gut oder wurde nicht gut bearbeitet. Das schmälert die Freude am visuellen Ereignis empfindlich.

Das Konzert

Wie soll man in kurzen Worten diese Bühnen-Show beschreiben, die die Songs um zusätzliche Dimensionen bereichert (und nicht plump mit Effekten aufbläst), die in ihrem Einfallsreichtum, ihrer spannungsreichen Dramaturgie, ihrer originellen und intelligenten Konzeption und ihrer Größe (in jedem Wortsinn) nur noch von der ZooTV Show von U2 aus etwa der selben Zeit getopt wird? Am besten gar nicht. Selber anschauen ist das Beste!

Dem Regisseur der Aufnahme, François Girard, ist es jedenfalls gelungen, dieses Ereignis in Bilder einzufangen. Zumal es das erste und bis jetzt einzige Mal ist, dass in eine offizielle Abfilmung eines Gabrielkonzertes nicht experimentelles Material gegengeschnitten wurde. Trotzdem merkt man, dass dem Aufnehmen von beinahe jedem Song jeweils ganz spezielle filmische Gesichtspunkte zugrunde gelegt wurden, doch dazu später mehr.

Ein wesentliches Merkmal des Films ist auch, dass fast allen Songs kurze Kapitelbilder vorgeschaltet sind, die teilweise dem Geschehen auf der Videowand entnommen sind, teilweise extra für den Film produziert wurden. Die übrigen Einspieler der Projektionswand bekommt man nur am Rande mit, was sicher schade ist.

Was man zudem vielleicht noch sagen muss, ist dass Girard mit der Kamera oft arg nah rangeht und dadurch einige Teile der Performance nicht mehr richtig zur Geltung kommen, unfreiwilligerweise gestisch zu groß wirken oder sogar ganz wegfallen.

Die Tracks im Schnelldurchlauf

Come Talk To MeCome Talk to Me ist als Opener der Show brilliant. Gabriel und Paula Cole bieten in Gesang und Performance eine sehnsuchtsvoll-leidenschaftliche Darbietung. Von den Musikern bekommt jeder eine Eröffnungsnahaufnahme - von der Showaction allerdings gehen einige Teile verloren. So sieht man nach einem Schnitt auf den wahnwitzig trommelnden Manu Katché zwar Herrn Gabriel in sein Telefonkabel eingewickelt -
wie es dazu kam, weiß man leider nicht.

Die Liveversion von Steam hat ein schönes Intro, das der Quiet-Steam Version entlehnt ist. Bemerkenswert ist auch zu sehen, wie flink Gabriel Anno ‘93 noch herumwieselt, wie behende er seine Texte gestisch untermalt. Auch seine Band wird in die Choreographie miteinbezogen und spielt voller Eifer mit. Das hat alles Dynamik und Tempo.

Across the River wird zu einem bewegenden Duett mit Shankar, der dabei seinen ersten und auch größten Auftritt hat. Die Liveversion ist offen, einfach und wehmütig und entfernt sich damit spürbar von dem eher geschlossen wirkenden Original.

Als gleitende Reise von der Squarestage zur Roundstage gedeit Slow Marimbas, das komplett vom Band kommt, erweitert um Shankars Improvisationen.

Diese Reise gipfelt im ersten großen Höhepunkt des Abends: Shaking the Tree, das als große Party auf der Roundstage daherkommt. Das kreisende, ausgelassene wird dabei gut eingefangen auch durch den Gebrauch einer Handkamera, die Bilder quasi aus der Mitte des ‘Tumults’ bringt. Das wirkt alles sehr gelöst, sehr spontan. Im Verlauf der Feier werden fast alle Musiker vorgestellt und Paula Cole erfährt ihre erste größere Soloeinlage. Der Song ist in der Aufnahme stark gekürzt, was man gelegentlich auch an nur mäßig gelungenen Schnitten bemerkt. Gabriels kurze Schlagzeugeinlage
darf man durchaus vermissen.

Das sich anschließende Blood of Eden erweist sich gelungener als das Original auf US - wie fast alles daraus. Diese Wirkung ergibt sich hier natürlich nicht zuletzt aus der schönen gemeinschaftlich-getrennten Aktion von Peter Gabriel und Paula Cole, einer rundkreisenden, verlangenden Suche. Musikalisch sei erwähnt, das hier Levon Minassian an der Doudouk einen unbemerkten Gastauftritt hat. Er war wohl eigens für die Videoaufzeichnung mit an Bord geholt worden.

Einer der zentralen Momente des Konzerts ist sicher San Jacinto. Ein versinkender Baum, tastende Lichtfinger, ein dahingleitender Peter und eine Mondprojektion sind die augenfälligsten Merkmale dieser Darbietung und fein abgestimmten Seelenreise.

Bei Kiss That Frog scheint man sich darauf geeinigt zu haben, die einzelnen Musiker in den Vordergrund zu stellen und in langen Nahaufnahmen zur Geltung kommen zu lassen. An sich eine schöne Idee. Leider geht dadurch aber auch hier ein Teil von Gabriels Darbietung verloren. Man muss sich schon selbst daran erinnern, wie Peter auf seinem Stuhl sitzt, der ihm ständig unter dem Hintern davonfährt. Musikalisch ist auch diese Version besser als die aus dem Studio: griffiger, packender, gradliniger - es reißt einen mehr mit.

Das wieder ruhige Washing of the Water ist in der Abfilmung in einer einzigen Aufnahme gemacht, ohne Schnitt. Man begleitet Gabriel auf seinem Weg von der Centerstage über den Steg zur Frontstage. Zum Schluß gleitet die Kamera alleine wieder zurück.

Silsbury HillDas in endlosen Wiederholungen bereits stark beanspruchte Solsbury Hill erfährt in dieser Performance wohl seinen Höhepunkt. So kraftvoll, dynamisch, ergreifend und gutgelaunt wie in dieser Fassung klang es vorher und nachher nie. Sichtlich gut gelaunt ergeht sich Gabriel mit den alten Freunden Levin und Rhodes in tänzerischen und spielerischen Hampeleien.

Der mediale Einfall des Konzerts, Gabriel bei Digging In The Dirt mit einer Kamera auszustatten, die es ihm erlaubt, ganz nah an sein Gesicht heranzugehen, jede Pore, jede Falte dem Zuschauer zu präsentieren, war genial. So selbstzerfleischend hat noch kaum einer öffentlich in seinem persönlichen Dreck gewühlt. Für die Abfilmung verfiel man dann der Idee, zusätzlich Bilder von den Musikern, die eben jene Kamera aufhaben, zwischenzuschneiden. Was das bringen soll, bleibt fraglich, zumal sie eher weniger Ausdruck haben und vielfach mit der Technik kämpfen. Ach Peter, manchmal wünscht man sich, du wärst weniger experimentierfreudig. Musikalisch orientiert sich diese Version an der Studioaufnahme und das ist gut so. Diejenige von 2003/04 mag zwar mehr rocken, tiefer und ergreifender ist sicherlich diese mit dem in der Dynamik zurückgenommenen Refrain.

Natürlich ist auch Peters größter Hit Sledgehammer mit im Gepäck. Hier endlich auch mal mit dem heranschleichenden, rhythmischen Intro. Musikalisch solide, überzeugt die Aufnahme aber vor allem durch die Performance. Es gibt viel Zusammenspiel zwischen Peter, Tony und David (in einer fast schon legendär zu benennenden Choreographie) und eine Art umgarnendes Pas de Deux zwischen ihm und Paula, das ein gutes Stück Knistern aufblitzen lässt.

Die gesprochene Einführung zu Secret World wurde im Studio produziert. Auch daran merkt man, welch zentrale Bedeutung dieses Lied hatte. Es kommt dann musikalisch auch sehr viel kraftvoller als im Original daher. Allerdings ist nicht ganz zu verstehen, warum eine Strophe herausgeschnitten wurde. Die filmische Umsetzung birgt etliche Überraschungen, wie die Bilder der an der sich drehenden Leinwand befestigten Kamera. Die Lightshow wirkt genauso miteinbeziehend und genauso stressreich wie in der Konzerthalle. Und der finale Abgang der Musiker in den Koffer bleibt ein charmanter und rührender Einfall. Sicher eines der effektvollsten Showenden je.

In Your EyesDoch noch ist nicht alles aus. Die halbe Weltkugel öffnet sich noch einmal um für Don’t Give Up Platz zu schaffen. Und in was für einer Version! Paula Cole hat ihren größten Moment dieses Abends und überzeugt mit vielleicht größerem musikalischen Ausdruck als Kate Bush und mit der, zu großem Talent kommenden, fast schüchternen Verlegenheit.

Als zweite und letzte Zugabe bekommen wir In Your Eyes serviert. Die Performance ist musikalisch wie choreographisch fast eins zu eins von der SO-Tour übernommen, nur ein wenig größer gezogen. Sie wirkt nicht mehr ganz so frisch, spontan und beweglich - aber auch noch nicht so völlig abgedroschen wie später - und allemal lebensfreudig. Das feuerzeugblinkende Publikum zu Beginn ist natürlich umwerfend. Papa Wemba als Gast bringt eine gewisse stimmliche Anarchie mit ins Spiel - Shankar hat hier den Part des tiefen In your Eyes Fake-Sängers, den bei der UP-Tour Tony übernahm. Warum man das aber überhaupt macht (ohne es ironisch zu brechen) bleibt offen. Die Aufnahme ist darüber hinaus sauber abgefilmt, aber an der Stelle vor Jean-Claudes Pianosolo plump geschnitten.

Im Abspann dann, denn hier ist der Konzertfilm zu Ende, erleben wir nochmals Levon Minassian ganz allein an der Doudouk zu den Klängen von The Feeling Begins spielen. Vermutlich war das Bestandteil des Vorprogramms. Netter Abschluss.

Die Extras

TimelapseDie DVD verzeichnet noch einige kleine Extras. Untertitel weisen diese alle nicht auf.
Am interessantesten dürfte das sein, was sich hinter Timelapse versteckt: Im Zeitraffer erlebt man den Aufbau der gesamten Bühnenkonstruktion, das eigentliche Konzert und den Abbau in der Frankfurter Festhalle (und nicht in Berlin, wie fälschlicherweise auf dem Cover angegeben). Zum Spaß an dem unglaublichen Gewusel hat man zusätzlich auch noch einen Eindruck des ersten Tourabschnitts, denn da wurden diese Aufnahmen gemacht. So entdeckt man im Konzertteil bei genauem Hinsehen Gabriel Come Talk To Me ohne Paula Cole singen und Lovetown darbieten. Und der Showact bei Secret World scheint auch einen anderen Schluß zu haben.

Die Fotogalerie bietet zu den bekannten Klängen von Quiet Steam teils bekannte, teils seltene Bilder von Show und Stuff. Nett.

Das viertelstündige Behind the Scenes Featurette über die Secret World Tour beinhaltet neben einem eindrucksvollen Intro vor allem ein langes Interview mit Peter von 1994, in dem er viel vom Entstehen des ganzen Unternehmens berichtet. Da sind durchaus die ein oder andere neue Information zu vernehmen, wenn für altgediente Fans auch nichts Wesentliches dazukommt.

Der siebenminütige Growing Up Live 2002/03 Trailer schließlich ist der erste der Vorschauen, von denen wir auf späteren DVDs noch mehr zu sehen bekommen
sollen. Gabriel stellt hier die Show und die Musiker vor. Nichts wirklich brandinteressantes, aber ganz nett.

Fazit
Secret World Live ist die gelungene Dokumentation einer atemberaubenden Show. Es gibt hier wirklich tausend Dinge zu sehen und zu hören. Verschiedene technische Aspekte bieten jedoch Anlass zur Kritik. Wer aber dieses eindrucksvolle Ereignis im Archiv wissen will (und das Archivieren lohnt sich), für den ergeht ein eindeutiger Anschaffungsvorschlag.