4. Januar 2009

OVO

Vom Aufbruch in neue Zeiten - OVO The Millenium Show

Wir wollen den Reigen der Artikel fortsetzen mit der Besprechung eines Werks, das eine nicht unbedeutende Position in Gabriels Schaffen einnimmt. Schließlich handelte es sich endlich wieder um eine ausführliche Meldung nach einer langen Periode des weitgehenden Schweigens. Für viele war es der Aufbruch in eine neue Welt - für andere die Begegnung mit einem lange Vermissten. Für manche war es vielleicht auch ein Schock: Im Jahr 2000 das erste Lebenszeichen Gabriels nach acht Jahren, das den Umfang eines ganzen Albums hat, und dann handelt es sich um ein merkwürdiges Gemisch von Instrumentals und Songs, das manche als “kunstgewerblich” abtaten.

OVO ist quasi der Soundtrack zu der gleichnamigen Show im Londoner Millenium-Dome (mit den, für Gabriel schon beinahe üblichen, Material-Erweiterungen speziell für das Album). Von dem Album sind zwei Varianten erschienen. Und weil diese für den Gesamteindruck zum Teil nicht unerheblich sind, zunächst eine Beschreibung der Unterschiede. Da ist einmal der “Original Dome Release” in einer Pappschuber-Verpackung. Auf dem Cover - und auch in der Heftgestaltung - wurden Fotos der Show verwendet. Enthalten sind, neben der CD, ein kleines Büchlein, das die Handlung als Bildergeschichte erzählt, und eine Maxi-CD mit nur einem Track, The Story of OVO – Rasco’s Rap Version, in dem die Handlung der Show in Rapform erzählt wird. Im CD Booklet fehlen die Songtexte, dafür sind Statements der Produzenten enthalten. Diese Variante des Albums ist vergriffen und nur noch schwer erhältlich.


CD-Cover-Versionen OVO

Die andere Version ist der “International Release”. Eine CD im üblichen Juwel-Case, auf dem Cover und im Heft sieht man Fotos der Naturkunst des Deutschen Nils Udo. Im Booklet sind die Lyrics enthalten - dafür fehlen die Musikerstatements. Die Trackliste ist auch variiert: Das Album beginnt mit dem bereits erwähnten Rap, dafür fehlt ein kleines Instrumentalstück The Tree That Went Up. Gerade diese Veränderung ist am frapierendsten, hat doch das Album mit dem Rap einen völlig anderen Auftakt - der auch nicht typisch für den Rest ist. Vermutlich wollte man damit eine Art Inhaltsangabe voransetzen.

Zu dem Rap an sich sei noch gesagt, dass es sich musikalisch im wesentlichen um eine Variante des gleichfalls auf dem Album enthaltenen Instrumentals The Man Who Loved The Earth handelt, und dass er ein wenig gezwungen wirkt - trotz prominenter Besetzung. Diese Kunstform ist nun mal nicht die von PG und soll eindeutig das Interesse “der Jugend” an dem Werk erwecken.

Die ganze Show nun erzählte also am Beginn des Milleniums vom Start in ein neues Zeitalter. Die Geschichte ist irgendwo zwischen verträumt, psychoanalytisch, sozialpolitisch und metaphysisch angesiedelt. In jedem Fall sollte sie Familientauglich sein und dementsprechend ist auch die Musik dazu. In weiten Teilen ist sie instrumental und zunächst einmal geschaffen, um Raum für die akrobatischen Leistungen der Live-Darsteller zu lassen. Es gibt aber auch etwa sechs (je nach Zählweise) neue Songs von PG. Sie beschreiben in leicht poetischen Bildern (ohne wirklich kompliziert zu werden) Zusammenhänge und Zustände der Geschichte. Trotzdem arbeitet das Ganze nicht mit der Erzählweise eines Musicals. Eher wird mit den Texten an bestimmten Stellen die, als bekannt vorausgesetzte, Handlung vertieft.

Die Musik klingt klar nach Gabriel und erinnert an US, ist im Vergleich aber wesentlich luftiger und begreifbarer – und eben auch gut verdaubar. Die Atmosphären, die kreiert werden, sind immer eindeutig – die Songstrukturen sind schon originell, aber auch übersichtlich und die Melodien bleiben verständlich. Zudem hat Gabriel eine Reihe von Gastsängern verpflichtet; schöne Stimmen, die aber in gewisser Weise gefällig klingen. Erstaunlicherweise ist man spürbar gerührt, wenn Peters eigene Stimme auch mal auftaucht und alleine dadurch gleich eine tiefere Dimension mitbringt. Ansonsten will die Musik vor allem gut ankommen und man vermisst die Irritationen, die Melancholie, die Tiefe, die Vielschichtigkeit, für die Gabriel sonst bekannt ist.

Bei den Instrumentalpassagen hat man einiges an Motiven zusammengetragen. Es gibt Aborigine-Anklänge im ersten Drittel (The Man Who Loved The Earth), Elektroklänge im zweiten (The Tower That Ate People) und epische Soundflächen im letzten (The Nest That Sailed The Sky). Von den Songs kann man ein paar erwähnen. Zum einen das mit eindringlicher Ruhe daherkommende Eröffnungsstück Low Light mit der wunderbaren Stimme von Iarla Ó Lionáird. Dann natürlich auch Downside Up, das in der 2003/2004er Tour von PG so zentrale Bedeutung bekam und eine einfache, aber auch verdrehte Betrachtung über das Erfahren ist - und dazu die anrührende Stimme von Elizabeth Fraser mitbringt. Und dann schließlich Father, Son – ein Song der eigentlich gar nicht in den OVO-Kreis gehört, aber laut Gabriel inhaltlich gut ins Album passte. Tatsächlich wirkt die schlichte Piano Ballade (der einzige pure Gabrielsong auf dem Album) wahlweise wie ein Unterbruch oder ein Stilbruch in all dem Multikultigeschnatter. Ein schöner Song mit einem bewegenden Hintergrund ist es trotzdem. Zu erwähnen sei auch noch das Instrumentalstück The Weavers Reel, das erdige gälische Klänge mit kraftvollen indo-afrikanischen Rhythmen mischt. Einen bemerkenswerten Abschluss des Albums bildet schließlich Make Tomorrow, das sachte beginnt und sich zu energetischen Elektrobeats mit sensiblen Zwischentönen aufschwingt. Alle Gesangsstimmen kommen nochmals zum Einsatz und entlassen den Zuhörer mit den titelgebenden Worten wehmütig mahnend in die Zukunft.

Das alles ist kunstvoll zusammengewebt. Letztendlich bleibt beim Anhören jedoch ein cleaner Beigeschmack und das Gefühl, hier sei man zu künstlerischer Tiefe und Aussagekraft geladen. Ob Gabriel selbst mit dem Ergebnis hundertprozentig zufrieden ist, kann diskutiert werden. Zumindest hat er eine neue, eine “Songwriter”-Version des Albums in Erwägung gezogen. Die erscheint mit Sicherheit 2020. Im September.


Fazit
Schöne Musik, die nicht die komplette Dimension von Gabriels Können repräsentiert und im Ganzen ungewöhnlich bleibt. Für ein Musical zu befremdlich, für echte Gabrielmusik zu wenig in die Abgründe gelotet.