23. Oktober 2008

Big Blue Ball

Laune und Weltmusik - Big Blue Ball

Im Mai 2008 wurde den Freunden von Ethnomusik und von Peter Gabriel etwas neues aus dem Hause Real World beschert. Davon versprachen sich viele Weltmusik von hohem Niveau vermischt mit den Qualität eines PG. Keine geringen Ansprüche also - aber anderes war man von dem Label nicht gewohnt. Und man hatte schließlich auch lange genug darauf gewartet. Denn als Big Blue Ball nach 15 Jahren Bearbeitungszeit endlich erschien, da war das Album eigentlich schon ein Mythos.

Das lag zum einen daran, dass die zugrunde liegenden Realworld-Recording-Weeks der frühen Neunzigern schon legendär geworden waren. Außerdem handelte es sich hier um eine Neuerscheinung mit, zumindest gelegentlicher, Beteiligung von Gabriel, was vielfach dazu führte, dass das Album für sein neues Solowerk gehalten wurde (er ist jedoch nur auf drei Songs zu hören). Und schließlich lag es auch daran, dass die ganze Veröffentlichung mit üblichen gabrielitischen Nervenbeanspruchungen vonstatten ging. Vor allem waren das gefühlte 500 Verschiebungen des Erscheinungsdatums und die recht eigentümliche Politik, das Album zunächst exklusiv auf dem amerikanischen Markt herauszubringen, vom merkwürdige Hin und Her mit den zwei Albumcovern mal ganz abgesehen. Spekulationen über die Gründe von allem gab es reichlich…

alternatives CoverDas Album selbst schließlich, ist eine gelungene Mischung von Weltmusik mit westlicher Produktion, wie man sie auch schon von den Realworldsamplern her kannte. Das Bemerkenswerte ist aber nun, dass verschiedenste Musiker in unterschiedlichsten Verbindungen hier miteinander musizieren. Alle Songs sind in insgesamt drei Jam-Sessions auf dem Realworld-Studiogelände entstanden und im Großen und Ganzen erst Jahre später - kurz vor der Veröffentlichung - fertigproduziert worden.

Das Ergebnis wirkt dann auch sehr modern - und trotzdem frisch und lebendig. Alle Tracks weisen vielfache Strukturen auf, haben meist einen zugrundeliegenden Weltmusikstil, der aber durch die Beteiligung von Künstlern anderer Regionen aufgebrochen und erweitert wird. Vom Spaß und der Spiellaune, die auf den Recordingweeks geherrscht haben müssen, überträgt sich auch noch eine ganze Menge - man hört die Lust und Begeisterung der vielen Musiker, Kollegen aus anderen Kulturen zu treffen und mit ihnen herumzuexperimentieren. Und diese Freude ist eine der Hauptstärken des Albums.

Die Songs im Einzelnen

Whole Thing ist die erste Nummer und auch gleich mit PG-Beteiligung. Das ganze ist ein schöner, leicht melancholischer Popsong, der Radioqualität hat. Weltmusikeinflüsse sind hier allerdings wenig zu finden. Ganz anders da Habibe, das unverkennbar arabische und osteuropäische Strukturen miteinander verwebt. Das Ergebnis ist etwas gewöhnungsbedüftig. Es ist halt eine langsamere Tanznummer mit einem weitschweifigen Intro. Shadow ist wieder beschwingter und fußt auf tanzbaren Latin-Grooves mit Afroeinflüssen. Die Stimme von Papa Wemba ist in diesem Zusammenhang auffällig, ungewöhnlich und vermutlich auch für viele etwas irritierend.

Das nächste Stück, Altus Silva, entpuppte sich dagegen schnell als eine der eingängigsten Nummern des ganzen Albums. Ein gemäßigter, mitreißender Rhythmus rollt, geleitet von gälischen Motiven, kraftvoll dahin und lässt an friedvoll-weite Landschaften denken. Da sind sechs Minuten noch zu kurz. An diesem Erfolg ist zu großen Teilen auch Joseph Arthur beteiligt, der auch auf anderen Songs des Albums mitwirkt. So beispielsweise auch am folgenden Exit Through You. Ein störrisch-groovender Song, mit einer Elektrobeat-Basis, der die Stimmen von Joseph und Peter Gabriel, die sich in den Strophen- und Refrainteilen abwechseln, genial verbindet. Ein Highlight der wiederum ruhigeren Art liegt danach mit Everything Comes From You vor. Hier lässt Sinead O’Connor in einer Art Kreisgesang, umgeben von asiatischen und europäischen Klängen, die immer gleiche Textzeile meditativ wiederkehren.

Session

Burn You Up, Burn You Down war für PG-Fans sicher eine Enttäuschung. Der Song war bereits vormals veröffentlicht worden und überrascht hier auch nicht mit völlig Neuem. Zu deutlich erinnert er an die Versionen, die schon auf HIT und der dazugehörigen Single vertreten waren. Immerhin wirkt er hier ein wenig frischer und leichter. Forest ist dagegen dann beinahe schwere Kost. Arabisch und afrikanisch orientierte Motive verbinden sich mit einem stampfenden, tranceartigen Rhythmus zur Tanznummer, die viele frei improvisierte Elemente hat. Sonderlich abwechslungsreich ist das nicht und richtig mitreißen will es auch nicht.

Als Kontrast ist Rivers dann wieder ein elegischer Song, bei dem die wunderschöne Stimme von Marta Sebestyen und zarte Flötenmelodien stille Leidenschaft zelebrieren. Im Ergebnis ein anspruchsvolles Musikstück für aufmerksame Zuhörer. Die vorletzte Nummer, Jijy, ist wieder temporeich. Eine Art Afro-Rap, der viele quirlige Ideen und Musikfetzen miteinander verbindet, aber im Gesamteindruck etwas nervig wirkt. Zum Schluss folgt aber mit Big Blue Ball ein wieder ruhiger und auch wirkungsvoller Song von Karl Wallinger - Mitinitiator des gesamten Projekts. Er stellt einen beseelenden Ausklang dar und wirkt, mit seinen warmen Akkordeonklängen, enorm folkig und fast wie eine Hymne an Natur und grüne Wiesen.

Fazit
Die Vielfalt ist das, was dieses Album auszeichnet. Unterschiedlichste Ideen und Stile werden auf das originellste miteinander verbunden - oft (aber nicht immer) mit eindrucksvollem Ergebnis. Das Album ist trotzdem ein kleines Juwel auf dem Sektor der Weltmusik. Leute, die sich mit dieser Musikform schwer tun, werden aber vermutlich nicht glücklich.